Wenn Freundschaften, Projekte und Besetzungstourismus sich vermischen...
Hereinspaziert hereinspaziert!
In der Welt der kleinen und großen Eindrücke, in der Allee der Bilder, die hier um uns herum flattern. Wo soll ich nur anfangen, nachdem wir so vieles erlebten? Schon hier in Nablus? Ich geh noch ein Schritt zurück, nach Jenin, wenn es mir auch schon so fern vorkommt...
Wo waren wir stehen geblieben? Zuletzt haben wir einen Tag mit der Jeniner Jugendgruppe trainiert und es tatsächlich geschafft eine schöne, runde Show auf die Beine zu stellen, die wir im Freedomtheater zeigen (www.thefreedomtheatre.org).
Die Jugendlichen vom Street Circus geben dort regelmäßig training, es ist und bleibt immer eine kleine Reise von der Stadt Jenin in das Flüchtlingslager Jenins (das "Jenin Camp"), wenn es auf den ersten Blick ein und die selbe Stadt zu sein scheint... Doch mensch sieht es an den Häusern, vor allem aber auch in den Augen der Menschen.
Eines Abends sagte Ahmed, in dessen Haus wir auch unsere Wohnung hatten, "der da, der ist auch vom Jenin Camp, aber (!) der ist mein Freund". Es verlaufen Grenzen in den Köpfen der Menschen, geprägt und geschürt von der Besetzungssituation, von den Unterschiedlichen Herkünften der Familien und Clans, die hier und dort Leben.
Es ist wirklich schwer nachzuvollziehen, wie viele Fronten auf einmal bekämpft werden, bis sie hin und wieder erschöpft aufgegeben werden und es dann doch vollkommen egal ist, ob nun Hamas oder Fatah die Maschinerie der Korruption am Leben hält (Fatah ist die Partei des ehemaligen Arafats und des jetzigen Präsis Machmut Abbas. Sie ist aus der PLO entstanden und hält den "alten" Kurs, versucht unter Abbas nun auch zwischen Israel und palästinensischer Autonomiebehörde zu vermitteln, erkennt Israel zum großen Teil an und hat nun auf Condoleeza Rices Bitte, sich nach dem Angriff Israels auf den Gazastreifen wieder mit Amis und Israelis an den Verhandlungstisch zu setzten, hingesetzt. Die Hamas ist radikaler und kämpft stärker gegen die Besetzungssituation, hat teilweise auch intensive Sozialprogramme, wodurch sie in der Bevölkerung sehr beliebt ist. Sie erkennt Israel nicht an, weil Israel auch Palästina nicht anerkennt. Militante Arme haben alle Parteien. Doch da die internationale Gemeinschaft der Hamas den Geldhahn abgedreht hat konnte sie die gewonnene Wahl nicht auskosten, die Gehälter wurden nicht gezahlt und in der Westbank ist sie schliesslich abgesoffen - in Nablus wurde der Bürgermeister von der Israelischen Armee festgenommen. Es bleibt schwer für mich zu differenzieren, zu verstehen, wie die Politik hier funktioniert.)
Ja, in Jenin also leben die Menschen im Camp oder nicht. Mensch ist von reicherer oder ärmerer Familie. Liberalerer oder Traditionellerer. Zwischen Mann und Frau. Zwischen original-palästinensisch freiwillig hergezogen oder flüchtlichs-palästinensisch. Das heißt gleich - "ICH hab alle Intifadas miterlebt, ICH hab für unser Land gekämpft, doch DU bist erst hergezogen, als es friedlicher wurde, nach dem Oslo Prozess."
Und im Camp gaben wir dann die zweite Show, da, wo unsere Freunde, von eher wohlhabenden Familien aus Jenin-Stadt den Kindern, die hergeflohen sind Workshops geben. Das Theater scheint sehr gut organisiert zu sein, hat ne sehr gute Fundraising und PR Abteilung! - sie können sich 20 Angestellte leisten und u.a. Noam Chomsky und Judith Butler sind im Vorstand. Sie haben regelmäßige Shows und Training und ne Menge Freiwillige. Sie haben sich also in kurzer Zeit zu einer Prestigevollen Institution entwickelt.
Doch die interessanten Eindrücke sind die kleinen Beobachtungen im Alltag. Als ich Fotos entwickeln ging, lagen im Labor all die Fotos rum, die sonst für Kunden entwickelt werden sollten. Es waren ausschliesslich Fotos von frischgeborenen Kindern, Hochzeiten und Post-pubertären Jungs mit Maschinengewehren. Die wichtigsten Momente im Leben der Jeniner_innen?!
Alle, die in Kämpfergruppen eintreten bekommen zuerst ein Kanönchen in die Hand gedrückt und machen Fotos, für den Fall, dass die Israelische Armee sie umbringen sollte. Denn dann wird die ganze Stadt mit deren Köpfen (und Maschinengewehren) zugepflastert. Das prägt das Stadtbild, Gewalt als Widerstand ist hier hoch angesehen. Waffen und Bomben sind durch die lange Besatzungssituation tief in den Köpfen der Menschen verankert, oft dienen die Bilder von Bomben und Raketen als Metaphern für ganz gewöhnliche Gefühle.
Läuft mensch in der Stadt umher fallen einem nicht nur die Jungs mit den Stirnbändern und Knarren auf, die an jedem Supermarkt kleben wie bei uns die halbnackten Frauen, die Joghurtwerbung machen.
Es fällt in Jenin auch auf, dass es kaum Mülleimer gibt. Warum? Nunja, sie sind schwer zu finanzieren. Der Wind treibt alles, was grundsätzlich auf die Straße geworfen wird, weg. Und die großen Müllcontainer, die gelegentlich umherstehen, brennen aus... als einzige Lösung, die den Ämtern dort zur Müllentsorgung offen bleibt.
Wir spielten also unsere zwei Shows in Theater mit den Kids vom Street Circus, was echt super Spaß machte. Plötzlich sickerte die Nachricht durch, dass das osmanische Reich zusammenbrechen sollte, und die internationale Gemeinschaft den Briten ein Mandat über die Region geben wollte. Als die Osmanen uns dann verjagten wurde es uns etwas brenzlig und wir packen unsere sieben Sachen und flohen nach Nablus...
Die Osmanen streifen durch die Stadt...
und wir begeben uns auf den beschwerlichen Weg nach Nablus
Hier angekommen läuft erstmal das übliche Programm: Wir werden von unseren Freunden warm empfangen und genießen Tee, Falafel und Knafe - die Fett-Zucker Spezialität aus Nablus (mit Grundlagen Käse, Zucker und Grieß), wofür angeblich Menschen von weit weit her reisen.
Nablus hat sich anscheinend verändert. Es ist scheinbar viel sicherer geworden, seitdem die Fatah wieder die Macht übernommen hat - es gibt ne Menge Kontrollen in den Straßen, wir konnten uns sogar bis zehn Uhr Abends heut in der Altstadt aufhalten. Das wäre letztes Jahr undenkbar gewesen, da die "Freiheitskämpfer_innen" dann ins Gefecht mit der israelischen Armee hätten kommen können.
Doch mensch spürt es auch in der Luft. Es ist lebendig geworden in der Stadt, irgendwie bunter. Ich kann es nicht genau beschreiben. Alle sagen klar: es hat sich viel verbessert.
Nur eine Bevölkerungsgruppe leidet hier sehr: Die buddhistischen Schaufensterpuppen machen weiterhin kollektiven Selbstmord um auf ihre Situation der Unterdrückung aufmerksam zu machen:
Wir wissen selber nicht genau, wie damit umzugehen.
Mir fiel anfangs auf, dass ich dieses Mal kaum Horrorgeschichten erzählt bekam, von Folter und Unterdrückung durch die Israelis, von Gefangenschaft und Schickane. Doch jetzt, mit der Zeit, sammeln sich doch die Geschichten an. Angefangen im Jenin Camp, wo vom Jenin Battle (Wikipedia) erzählt wurde, als 2002 intensive Militäroperationen Israels in der gesamten Westbank, u.a. im Camp Jenins stattfanden. Ein Monat lang Hausarrest für alle, massig tote Zivilist_innen, die Menschenrechtslage war verheerend, wie Human Rights Watch berichtet (HRW Report 2002). Fast alle Häuser wurden durchsucht und um zu markieren, dass dieses oder jenes Haus schon durchsucht wurde, wurde ein Davidstern an die Wand gesprüht. Und und und.
Jede und jeder, mit dem ich über sowas sprach hat irgendwelche Brüder oder Cousins, die in Israelischen Gefängnissen sitzen. 8, 15, 25 Monate. Grenzen sind in den Köpfen gemacht und werden dann so schnell, so schrecklich lebendig.
Diese Geschichten begegnen uns hier öfters, doch unser Alltag ist ein ganz anderer. weiterhin extreme Gastfreundschaft, viel gutes Essen, wir feiern gemeinsame Shows und erzählen uns Tratschgeschichten.
Nun, und die Show heute war echt mal gut. Und das beste ist: wir haben sie vollständig auf Video! Endlich können wir also auch mal sehen, wie wir spielen.
und alle drei Lachen sie fröhlich für die Kamera.
Morgen und übermorgen dann noch zweimal Workshop geben und dann ab weitergezischt etwas südlicher. Mehr dann dann.
Bis bald,
der langatmig-beschreibende Jean
In der Welt der kleinen und großen Eindrücke, in der Allee der Bilder, die hier um uns herum flattern. Wo soll ich nur anfangen, nachdem wir so vieles erlebten? Schon hier in Nablus? Ich geh noch ein Schritt zurück, nach Jenin, wenn es mir auch schon so fern vorkommt...
Wo waren wir stehen geblieben? Zuletzt haben wir einen Tag mit der Jeniner Jugendgruppe trainiert und es tatsächlich geschafft eine schöne, runde Show auf die Beine zu stellen, die wir im Freedomtheater zeigen (www.thefreedomtheatre.org).
Die Jugendlichen vom Street Circus geben dort regelmäßig training, es ist und bleibt immer eine kleine Reise von der Stadt Jenin in das Flüchtlingslager Jenins (das "Jenin Camp"), wenn es auf den ersten Blick ein und die selbe Stadt zu sein scheint... Doch mensch sieht es an den Häusern, vor allem aber auch in den Augen der Menschen.
Eines Abends sagte Ahmed, in dessen Haus wir auch unsere Wohnung hatten, "der da, der ist auch vom Jenin Camp, aber (!) der ist mein Freund". Es verlaufen Grenzen in den Köpfen der Menschen, geprägt und geschürt von der Besetzungssituation, von den Unterschiedlichen Herkünften der Familien und Clans, die hier und dort Leben.
Es ist wirklich schwer nachzuvollziehen, wie viele Fronten auf einmal bekämpft werden, bis sie hin und wieder erschöpft aufgegeben werden und es dann doch vollkommen egal ist, ob nun Hamas oder Fatah die Maschinerie der Korruption am Leben hält (Fatah ist die Partei des ehemaligen Arafats und des jetzigen Präsis Machmut Abbas. Sie ist aus der PLO entstanden und hält den "alten" Kurs, versucht unter Abbas nun auch zwischen Israel und palästinensischer Autonomiebehörde zu vermitteln, erkennt Israel zum großen Teil an und hat nun auf Condoleeza Rices Bitte, sich nach dem Angriff Israels auf den Gazastreifen wieder mit Amis und Israelis an den Verhandlungstisch zu setzten, hingesetzt. Die Hamas ist radikaler und kämpft stärker gegen die Besetzungssituation, hat teilweise auch intensive Sozialprogramme, wodurch sie in der Bevölkerung sehr beliebt ist. Sie erkennt Israel nicht an, weil Israel auch Palästina nicht anerkennt. Militante Arme haben alle Parteien. Doch da die internationale Gemeinschaft der Hamas den Geldhahn abgedreht hat konnte sie die gewonnene Wahl nicht auskosten, die Gehälter wurden nicht gezahlt und in der Westbank ist sie schliesslich abgesoffen - in Nablus wurde der Bürgermeister von der Israelischen Armee festgenommen. Es bleibt schwer für mich zu differenzieren, zu verstehen, wie die Politik hier funktioniert.)
Ja, in Jenin also leben die Menschen im Camp oder nicht. Mensch ist von reicherer oder ärmerer Familie. Liberalerer oder Traditionellerer. Zwischen Mann und Frau. Zwischen original-palästinensisch freiwillig hergezogen oder flüchtlichs-palästinensisch. Das heißt gleich - "ICH hab alle Intifadas miterlebt, ICH hab für unser Land gekämpft, doch DU bist erst hergezogen, als es friedlicher wurde, nach dem Oslo Prozess."
Und im Camp gaben wir dann die zweite Show, da, wo unsere Freunde, von eher wohlhabenden Familien aus Jenin-Stadt den Kindern, die hergeflohen sind Workshops geben. Das Theater scheint sehr gut organisiert zu sein, hat ne sehr gute Fundraising und PR Abteilung! - sie können sich 20 Angestellte leisten und u.a. Noam Chomsky und Judith Butler sind im Vorstand. Sie haben regelmäßige Shows und Training und ne Menge Freiwillige. Sie haben sich also in kurzer Zeit zu einer Prestigevollen Institution entwickelt.
Doch die interessanten Eindrücke sind die kleinen Beobachtungen im Alltag. Als ich Fotos entwickeln ging, lagen im Labor all die Fotos rum, die sonst für Kunden entwickelt werden sollten. Es waren ausschliesslich Fotos von frischgeborenen Kindern, Hochzeiten und Post-pubertären Jungs mit Maschinengewehren. Die wichtigsten Momente im Leben der Jeniner_innen?!
Alle, die in Kämpfergruppen eintreten bekommen zuerst ein Kanönchen in die Hand gedrückt und machen Fotos, für den Fall, dass die Israelische Armee sie umbringen sollte. Denn dann wird die ganze Stadt mit deren Köpfen (und Maschinengewehren) zugepflastert. Das prägt das Stadtbild, Gewalt als Widerstand ist hier hoch angesehen. Waffen und Bomben sind durch die lange Besatzungssituation tief in den Köpfen der Menschen verankert, oft dienen die Bilder von Bomben und Raketen als Metaphern für ganz gewöhnliche Gefühle.
Läuft mensch in der Stadt umher fallen einem nicht nur die Jungs mit den Stirnbändern und Knarren auf, die an jedem Supermarkt kleben wie bei uns die halbnackten Frauen, die Joghurtwerbung machen.
Es fällt in Jenin auch auf, dass es kaum Mülleimer gibt. Warum? Nunja, sie sind schwer zu finanzieren. Der Wind treibt alles, was grundsätzlich auf die Straße geworfen wird, weg. Und die großen Müllcontainer, die gelegentlich umherstehen, brennen aus... als einzige Lösung, die den Ämtern dort zur Müllentsorgung offen bleibt.
Wir spielten also unsere zwei Shows in Theater mit den Kids vom Street Circus, was echt super Spaß machte. Plötzlich sickerte die Nachricht durch, dass das osmanische Reich zusammenbrechen sollte, und die internationale Gemeinschaft den Briten ein Mandat über die Region geben wollte. Als die Osmanen uns dann verjagten wurde es uns etwas brenzlig und wir packen unsere sieben Sachen und flohen nach Nablus...
Die Osmanen streifen durch die Stadt...
und wir begeben uns auf den beschwerlichen Weg nach Nablus
Hier angekommen läuft erstmal das übliche Programm: Wir werden von unseren Freunden warm empfangen und genießen Tee, Falafel und Knafe - die Fett-Zucker Spezialität aus Nablus (mit Grundlagen Käse, Zucker und Grieß), wofür angeblich Menschen von weit weit her reisen.
Nablus hat sich anscheinend verändert. Es ist scheinbar viel sicherer geworden, seitdem die Fatah wieder die Macht übernommen hat - es gibt ne Menge Kontrollen in den Straßen, wir konnten uns sogar bis zehn Uhr Abends heut in der Altstadt aufhalten. Das wäre letztes Jahr undenkbar gewesen, da die "Freiheitskämpfer_innen" dann ins Gefecht mit der israelischen Armee hätten kommen können.
Doch mensch spürt es auch in der Luft. Es ist lebendig geworden in der Stadt, irgendwie bunter. Ich kann es nicht genau beschreiben. Alle sagen klar: es hat sich viel verbessert.
Nur eine Bevölkerungsgruppe leidet hier sehr: Die buddhistischen Schaufensterpuppen machen weiterhin kollektiven Selbstmord um auf ihre Situation der Unterdrückung aufmerksam zu machen:
Wir wissen selber nicht genau, wie damit umzugehen.
Mir fiel anfangs auf, dass ich dieses Mal kaum Horrorgeschichten erzählt bekam, von Folter und Unterdrückung durch die Israelis, von Gefangenschaft und Schickane. Doch jetzt, mit der Zeit, sammeln sich doch die Geschichten an. Angefangen im Jenin Camp, wo vom Jenin Battle (Wikipedia) erzählt wurde, als 2002 intensive Militäroperationen Israels in der gesamten Westbank, u.a. im Camp Jenins stattfanden. Ein Monat lang Hausarrest für alle, massig tote Zivilist_innen, die Menschenrechtslage war verheerend, wie Human Rights Watch berichtet (HRW Report 2002). Fast alle Häuser wurden durchsucht und um zu markieren, dass dieses oder jenes Haus schon durchsucht wurde, wurde ein Davidstern an die Wand gesprüht. Und und und.
Jede und jeder, mit dem ich über sowas sprach hat irgendwelche Brüder oder Cousins, die in Israelischen Gefängnissen sitzen. 8, 15, 25 Monate. Grenzen sind in den Köpfen gemacht und werden dann so schnell, so schrecklich lebendig.
Diese Geschichten begegnen uns hier öfters, doch unser Alltag ist ein ganz anderer. weiterhin extreme Gastfreundschaft, viel gutes Essen, wir feiern gemeinsame Shows und erzählen uns Tratschgeschichten.
Nun, und die Show heute war echt mal gut. Und das beste ist: wir haben sie vollständig auf Video! Endlich können wir also auch mal sehen, wie wir spielen.
und alle drei Lachen sie fröhlich für die Kamera.
Morgen und übermorgen dann noch zweimal Workshop geben und dann ab weitergezischt etwas südlicher. Mehr dann dann.
Bis bald,
der langatmig-beschreibende Jean
circolibre - 17. Mär 2008, 01:21