DINGSda 24.2.-4.4.2008

Schralupp, blubb, blubb.

Ratschuuuu, Karuzzzz, Baladungg! Ja, die letzten Tage nach dem Projekt in Tel Aviv gaben uns wohl noch die volle Dröhnung. Doch bevor ich weiter davon schreibe und verrate, wo ich mich im Moment verstecke hier nochmal ein Bild aus "alten Zeiten", unserer anstregensten Show in Betlehem. So ganz weit weg vom Kontext, nur weil ihr ja gern mal Bilder seht:



Also gut. Tel Aviv. Ratschuuuu, Karuzzzz, Baladungg, sagte ich und ich würde noch plöpps, trattaaaatata, schliiiief und kazamm! hinzufügen. Es ist eine immer dynamisch wirkende, raue und zackige Stadt. Eine Blase im Lande Israels, die alle hassen und die den Rest der Welt langweilig findet. Die Überheblichkeit und unfreundlich raue Art Berlins kann mensch da ruhig hoch zwei nehmen, vielleicht ein paar mal, wenn man gerade nicht besoffen ist. Doch auch eine extreme, auch direkte, Offenheit schwallt einem entgegen. Ich wurde etliche Male im Cafe angesprochen, ich sei ja nicht Israeli, oder? "Aha, Circus, mhm. Er sei auch im Showbizz." Toll, mensch. "Und kannst mir helfen eine Wohnung hier an Ausländer_innen zu vermieten", er fahre bald zwei Monate nach Berlin. "Mhm,... Weisst du, dass du unheimlich schön bist?" Gagagaaaga. Mit den (praktisch nicht existenten) deutsch-sozialisierten Flirt-Codes ausgestattet fühlt mensch sich hier schnell hilflos. Oder ist das ein normales Tel Aviver Gespräch?!

Die Kultur boomt hier. Gutes Essen an jeder Ecke (in den letzten zehn Jahren gab es eine große Einwanderungswelle aus Frankreich und somit auch eine Croisantwelle und ein klein wenig Nouveau Cirque). Eine entwickelte Subkultur mit netten Bars und Clubs, viel Streetart und kleine Plattenverlage, die ihr Bestes Produzieren.

Ich bekam die volle Dröhnung bester Musikant_innen auf dem John Zorn Festival. Ganz provokant nennt er seine Musik radical Jewish music, sein Verlag Tzadik ("der Heilige, der Auserwälte,..."), seine Alben und Projekte tragen u.a. schwerwiegende Namen wie Massada oder Reichskristallnacht und präsentieren eine große Bandbreite von Musikrichtungen. Von Bossa-Nova bis meist experimentellem Klezmer bis hin zu Freejazz und elektronischem Klezmer, Trash-Jazz oder absolutem Avantgarde ("The French word for bullshit", wie Lennon sagte). In unserer Show nutzen wir auch viel seiner Musik.

So endete unser Projekt in einem ruhigen kleinen Cafe der intellektuellen Subkultur, wo wir zwischen Studis und Bücherregalen, Milchschaum und Serge Gainsbourg oder Lou Reed unsere ausführliche Evaluation begannen. Praktisches, zirzensisches, politisch-kulturelles, Gruppendynamik... von unten nach oben und oben nach unten. Ganz gesittet, doch offen und direkt. Ja, Anne, es war ein tolles Projekt - menschlich und professionell. Ein kleines Dankeschön aus Kyriat Tivon.

Damit es auch für euch noch spannend bleibt hier noch ein Bild:


dit war denne in Nablus beim Training. Ihr wisst schon, Freundschaft und so.

Also nun bin ich bei einer gut befreundeten Familie in der Nähe von Haifa und erlebe ein wunderschön-harmonisches Familienleben oberer intelektueller Mittelschicht. Vollkommen integriert in das Familienleben kann ich hier in Ruhe Arbeiten, waren wir heute die Geburtstage der Mama Yaara und des Sohnes Imri vorfeiern, da der Papa in ner Woche schwer arbeitet (eins der tausend global agierenden Start-up Unternehmen Israels, in dem Fall ist es High-Tech Schallwellenzeugs zum Fettverlieren).
Wir haben ständig politische Diskussionen und ich merke immer mehr, dass ich hier an der Quelle Sitze. Sie sind sehr reflektiert und kritisch, nie fanatisch. Er hat als Jugendlicher in einem Kibbuz gelebt und eine Weile die Umstrukturierungsprozesse der Kibbutzniks professionell begleitet und angetrieben. Sein Job war es - mensch nennt es "Human Change Management" ökonomische und ökologische Umstrukturierungsprozesse einzuleiten. Erster Schritt: Analyse des Status Quo. Wie reagieren Menschen auf Individualisierungsprozesse, die nie mit Geld umgehen mussten - erst im Holocaust-Vernichtungslager und dann im Kibbuz.
Wir reden über Zionismus, "neuen Zionismus", Antizionismus. Ich erzähle ihnen von Jenin und Nablus... sie erzählen mir von ihren Wanderungen in den besetzten Gebieten, als sie frisch verliebt waren und von Dorf zu Dorf wanderten, bei Einheimischen eingeladen wurden. Das ist heut weit entfernt, nicht denkbar, alles extrem politisiert,... sie sind sehr neugierig wie das Leben dort ist.
Es ist beeindruckend, wie oft wir Gespräche anfangen, diskutieren und es offensichtlich ist, dass es kein Ende gibt. Ich musste mich erstmal an die Art von Diskussionen gewöhnen, so ganz ohne Lösungssuche. Wir könnten noch so viele Lagerfeuer entzünden,... es wird weder einen, noch zwei Staaten in dieser Gegend geben. Nicht jetzt.

Ich komme also am 13ten zurück, wie Anne schon schrieb. Ich füge hinzu: ich wünsche mir ein Tiramisu.

Dem Jean.

Ach ja, zur Unterhaltung noch ein paar Fotos und eine Liste von Info-Organisationen und Nachrichtenagenturen, wie ich zusammengestellt habe, falls jemensch noch hungrig ist.









Und hier noch die Links:

Politische, soziale und akademische Institutionen

http://www.crisisgroup.org/ International Crisis Group
Tiefgehende politikwissenschaftliche Regional-Analysen. Die haben richtig Kohle, großen politikberatenden Einfluss und liefern detaillierte Analysen. Große Ziele wie "Krisenminderung weltweit". Mit vorsicht zu geniessen: die bilden den westlichen politikwissenschaftlichen mainstream ab, im vorstand sitzt der ehemalige US-Vertreter der UN und ein EU Funktionär. wikipedia widerspricht sich darin wer es gründete: EU Vize Weltbank Präsi oder EU-Komissar für Auslandsbeziehungen.

http://www.passia.org/ „Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs“
Palästinensisches non-profit Institut in Jerusalem (in der Nähe des Damaskus Gate direkt bei der Nablus Road) auf der Suche nach Antworten der Palästinensischen Frage. Akademisch orientiert, hat viele ausführliche Bücher und Infomaterial sowie Serviceadressen und ein Jahrbuch über die Besetzten Gebiete. Vorbeigehen lohnt sich.

http://www.ochaopt.org/ Office for the Coordination of Humanitarian Affairs in the Occupied Palestinian Territories of the UN
Koordinator für humanitäre Hilfseinsätze der Vereinten Nationen mit viel Infomaterial, Karten und aktuellen Berichten über die Lage in den Besetzten Gebieten. Direkt neben PASSIA in Jerusalem.

http://www.ipcri.org/ Israel/Palestine Center for Peace and Information
Ein Istitut, was versucht Pro-Palestinenische und Pro-Israelische Menschen aus der Wissenschaft, der Aktivist_innenszene, kulturellen und sozialen Projekten an einen Tisch zu bringen und es meistens auch schaffen. Die Friedensorientierten Menschen bleiben so leider meistens unter sich, doch es entstehen spannende Veranstaltungen und Kontakte.
Sie stehen klar für die zwei-Staaten Lösung ein und haben verschiedene politikberatende Programme. Im Vorstand und sonstiger Besetzung wird auf ausgeglichene Palästinensische-Israelische Mitarbeiter_innen Besetzung geachtet.
In „Tantur“, Jerusalem. Arabischer Bus 124 oder 21.

http://www.machsomwatch.org/en Machsom Watch
Eine Organisation Israelischer Frauen, die Checkpoints beobachten und menchenrechtlich aktiv sind. Auf der Seite findet sich eine gute Übersicht und Beschreibung aller Checkpoints und aktuelle Berichte.

http://www.alternativenews.org/ Alternative Information Center
eine antizionistische Organisation, die sehr bemüht ist in Israelisch-Palästinensischen Aktivist_innen-Beziehungen. Internationalistisch, antiimperialistisch orientiert und sehr in der Szene. Podcasts mit Vorlesungen und dazu passenden Powerpoints werden u.a. auf der Internetseite angeboten, interessante Artikel und übersichtliche Seite.
Bieten an, Berichte zu veröffentlichen.
In der Ben Yehuda Street 4,... genau hinschauen, ist unscheinbar.

http://www.breakingthesilence.org.il/ Breaking the Silence
Organisation, die Dokumentation über Einzelschicksale von Soldaten sammelt. Interessant um die Widersprüche der Identitäten und Absurditäten der Besetzungssituation zu verstehen.


http://www.thisweekinpalestine.com/ Palestine Week
Wochenzeitschrift, die in palästinensischen organisationen ausliegt und unter anderem Karten und Informationen zur Westbank enthält. Auch kulturelle Veranstaltungen...

Nachrichtenseiten

http://www.imemc.org/ International Middle East Media Center
Aktuelle und direkte Infos vom international angelegten Medienkollektiv. "Kooperation aus Palästinensischen und internationalen Journalist_innen". Die Tendenz ist klar, doch die unterscheiden zwischen News, Menschrechtsbezüge, tieferer Analysen, Interviews und haben auch sonst interessante Kategorisierungen.

http://www.haaretz.com/ Ha'aretz Tageszeitung online
"die taz Israels"? Ich weiss nicht, ob man das so sagen kann. Aus jeden Fall aus Israel schreibend, den linken Mainstream repräsentierend und dabei eine linksliberale Tageszeitung von dort. Es schreiben manchmal sehr kritische Journalist_innen dort.

http://www.irinnews.org eine UN Nachrichtenseite
Auffällig kritisch und "repräsentiert nicht die Meinung der UN"

http://www.electronicintifada.net/ Electronic Intifada
offensichtlich Palästinensische Perspective, wenn auch öfters polemisch. Beziehen viele Aspekte in ihre Analysen ein, manche kategorsich nicht. Eine Mischung aus täglichen News und längerfristig gesammelten Infos. Eindeutig antizionistisch, bekämpfen pro-amerikanische und pro-israelische Medienangenden.

http://www.palsolidarity.org/ „International Solidarity Movement“:
auch wieder Pali-gesinnte-Seite, ein Blog. Aber die haben jetzt auch ne deutsche Seite...
Sie veranstalten Trainings für gewaltfreie Aktionen gegen die Besetzungssituation. alle die ich in dem Bezug getroffen habe waren bunte, manchmal etwas verloren und abenteuersuchend wirkende Vögel. Von der Armee werden sie gehasst, Mitglieder wird Einreise nach Israel verweigert, der Kontakt zu Ihnen ist also schon Einreisegefährdend. Gerüchte sagen, Mitglieder_innen hätten Waffenlieferungen nach Palästina organisiert.

http://www.maannews.net/en/index.php Ma'an News
aus pali-perspektive infoseite mit aktuellen meldungen über Westbank und Gazastreifen.

http://www.ynetnews.com Ynet
Als arabische und Hebräisch angefangen gibt es nun nur noch Hebräische und Englische Nachrichten von dieser Online Nachrichtenagentur. Spiegel Online und viele andere Angenda-setting Agenturen haben ihre Infos von dort.

http://www.jpost.com/ Jerusalem Post
Eine noch immer als links angesehene Zeitung, eine der ältesten Israels und die einzig große, die nicht in tel Aviv sitzt. In den 80gern ist sie reichlich nach rechts gerückt. Englischsprachig.

http://english.aljazeera.net/HomePage Al Jazeera
Die größte arabische Nachrichtenagentur, sehr liberal angelegt und umstritten. Agendaseting aus arabischer Sicht?

Da waren's nur noch zwei

Ramon und ich sind back in Germany. Erste Eindrücke nach der Ankunft: Berlin ist viel entspannter. Man möge es nicht glauben, nennt man die Berliner doch unfreundlich. Aber nach den letzten noch frischen Eindrücken aus Tel Aviv und vom Flughafen (Sicherheitskontrollen in die letzten Winkel von Taschen) ist Berlin eben doch entspannt.
Berlin ist kühl und weitläufig. Eigentlich ganz angenehm nach sechs Wochen Israel / Palästinensische Gebiete. Nicht jeder kann, also eben sehr wenige, können sich diese Erholung gönnen, wie wir es bei unserer Heimkehr nun tun.

Mein Rückblick auf die sechs Wochen: ein super-gelungenes Projekt, auf menschlicher wie auf Projektebene. Ein starkes Team, intensive Begegnungen und Auseinandersetzungen mit allen Projektpartner vor Ort, die uns konkrete Ergebnisse für unsere weitere Zusammenarbeit beschafft haben... Zu verstehen, wie das Leben im Allgemeinen und die Zirkusarbeit vor Ort laufen, wie wir uns also austauschen können, welche Art von Projekten wir gemeinsam realisieren und wie wir das am besten können, das sind wirklich wertvolle Erfahrungen.

Nachrichten, wie es weitergeht, geplante Präsentation unseres Projekts z.B., werden wir hier noch ankündigen.

Zunächst warten wir auch noch auf die Rückkehr von Jean am 13. April und die von Karsten am 14. Mai.

Viele Grüße,
Anne

Reisen macht fett und regt die Verdauung an!

Ich fühle mich dick. Ramon auch. Es gab so viel zu essen in den letzten Wochen und alles war so fettig. Der Magen braucht auch etwas Zeit, sich darauf einzustellen, ich glaube ich brauche etwa doppelt so lange wie in Deutschland, das Futter hier zu verdauen. Jetzt liege ich also hier, in einem schäbigen Hostel Tel Avivs, mit meinem vollem Bauch. Voll mit Menschen, mit jubelnden Kindern, mit politischen, kulturellen Eindrücken, mit Gesellschaftsentwürfen und Denkmustern, wie sie konträrer nicht sein könnten. Gänsebraten auf Erdbeersoße. Bananen-Falafel-Müsli mit viel viel Zucker. Alles kosher.
Und ich trage dieses Essen wie ein kleines Kind in meinem Bauch, dass ich ganz langsam verdaue. Wie sagt Ranulfo so schön? Wenn man Druck macht kommt nur Scheisse raus!

Es waren wieder mal sehr intensive Tage bei Adnan. Sehr persönliche Eindrücke, sehr intime Momente. Wir haben viele Shows in kleinen Drusischen Gemeinden gefeiert und Abends, mit selbstgemachtem Brot und Frischkäse im Mund, die Erschöpfung gespürt. Zum Abschluss, als wir alle gemeinsam am Tisch sassen und Adnans Frau Linda und sein Sohn F'rass lachend vor dem Essen saßen, was wir ihnen zubereitet hatten laß uns Adnan sein neustes Gedicht vor. Es waren viele, persönliche, familiäre Momente.

Die kommeden Tage nutzen wir jeder für uns: In Tal Aviv ist im Moment das John Zorn festival, ein begnadeter moderne Musiker, was für mich ein willkommener Abschluss der gemeinsamen Fahrt ist. Ramon und ich gehen also heut abend in Tal Aviv auf eins seiner Konzerte, ich werde auch morgen nochmal hingehen. Anne ist in Kfar Ye'shua, und wir treffen uns am Donnerstag alle nochmal zum gemeinsamen Abschluss und evaluieren die Fahrt.
Ich bleibe dann noch eine Woche länger hier, da ich mich spontan entschieden habe noch etwas Zeit mit Freunden im Norden zu verbringen und bei einer Konferenz von www.ipcri.org in Jerusalem teilzunehmen.

Wenn wir zurück sind, werden wir eine mindestens einen Abend lang alles präsentieren, was wir hier erlebt haben.
Bis bald und auf viele spannende Fragen und Kommentare zu unseren Berichten,

Jean

Pling Plang Plong, Circolibre im Karton!

Wir springen von Show zu Show und genießen die familiäre Atmosphäre bei Adnan. Er liebt es Geschichten zu erzählen, wodurch wir auch immer wieder in seine Vergangenheit reisen, lachen und diskuttieren.
Gleich treten wir dann bei ihm im Community Center auf, daher hier nur kurz. Einige Bilder von einem "Journalisten" auf einer Israelisch-arabischen Webseite:
http://wen.co.il/newsview.php?sec=news&NewsID=6647&type=100
http://wen.co.il/newsview.php?type=100&NewsID=6639
Viel Spaß damit,

Jean

Circolibre schmeckt noch leckerer, wenn mann es isst!

Die Zeit des ausharrens in Jerusalem, des mühseligen Bars besuchen und Quatschen, des Entspannens und ziellosen Gedanken baumeln lassen ist vorbei. Wir haben unseren Esel bepackt und folgen dem Stern gen Norden, vielleicht hilft uns ein freundlicher Busgenosse auf dem Weg...

Einige eindrücke aus der vermeintlich heiligen Stadt will ich unseren digitalen Weggefährt_innen jedoch nicht verweigern:

Es ist nicht viel, was ich schreiben möchte, denn bald fahren wir wieder nach Bethlehem, wo wir gestern eifrig versuchten eine weitere Show zu feiern, uns aber wie die Löwen im Gladiatorenkäfig fühlten. Gladiatoren waren in dem Falle eine Masse von etwa 300 (1000 gefühlten) liebmeinenden Kindern, die uns unter der behutsamen Unfähigkeit derer Hoheit (unsere Partnerorganisation in den Klauen der UNRWA-Bürokratie) empfingen. Es ist nicht leicht in Worte zu fassen, wie die Bilder abstruser Kommunikation mit der Hoheit, dem Chaos der Kinderseelen - untermalt von krächzenden Lautsprecherngejaule in voller Mittagshitze - unsere Frustrationsschwelle sprengten. Schliesslcih fanden wir uns nassgeschwitzt im Büro von Shiraa wieder und versuchten unsere Punkte von Partnerschaft und Respekt auszutauschen... realtiv erfolgreich, denn wir werden heut noch einen Workshop dort miterleben.

So. Punkt erstmal. Die Bilder von Strassenshows bei Purim, von Checkpointschikanen und der Altstadt Jerusalems findet ihr sicherlich in jeden gutsortierten Blog aus der Region.

Ich wünsche eine weitere fröhliche Unterhaltung,

Jean, der verwirrende Schreibling

Purim ist wie wenn alle Geburtstag haben und die Touris einladen

Hallo hallo,

Wir sind wieder in Jerusalem und amüsieren uns fröhlich in dieser Stadt. Karsten ist auch dabei, weil er gerade in Ramallah nicht viel zu tun hat. Gestern abend haben Ramon und ich mal ein wenig die Einkaufsstraße von Jerusalem, Ben Yehuda gerockt, wir haben uns in Straßenauftritten geübt.
Einige Passant_innen haben dann nicht nur zugeschaut, sondern auch mitgemacht. Um noch eins draufzusetzen hat ein Junge das dann auch noch ins Netz gesetzt: http://video.google.com/videoplay?docid=5343046191300045035

Soweit so gut,

Bis bald,

Jean

Wenn Freundschaften, Projekte und Besetzungstourismus sich vermischen...

Hereinspaziert hereinspaziert!

In der Welt der kleinen und großen Eindrücke, in der Allee der Bilder, die hier um uns herum flattern. Wo soll ich nur anfangen, nachdem wir so vieles erlebten? Schon hier in Nablus? Ich geh noch ein Schritt zurück, nach Jenin, wenn es mir auch schon so fern vorkommt...

Wo waren wir stehen geblieben? Zuletzt haben wir einen Tag mit der Jeniner Jugendgruppe trainiert und es tatsächlich geschafft eine schöne, runde Show auf die Beine zu stellen, die wir im Freedomtheater zeigen (www.thefreedomtheatre.org).



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Die Jugendlichen vom Street Circus geben dort regelmäßig training, es ist und bleibt immer eine kleine Reise von der Stadt Jenin in das Flüchtlingslager Jenins (das "Jenin Camp"), wenn es auf den ersten Blick ein und die selbe Stadt zu sein scheint... Doch mensch sieht es an den Häusern, vor allem aber auch in den Augen der Menschen.
Eines Abends sagte Ahmed, in dessen Haus wir auch unsere Wohnung hatten, "der da, der ist auch vom Jenin Camp, aber (!) der ist mein Freund". Es verlaufen Grenzen in den Köpfen der Menschen, geprägt und geschürt von der Besetzungssituation, von den Unterschiedlichen Herkünften der Familien und Clans, die hier und dort Leben.

Es ist wirklich schwer nachzuvollziehen, wie viele Fronten auf einmal bekämpft werden, bis sie hin und wieder erschöpft aufgegeben werden und es dann doch vollkommen egal ist, ob nun Hamas oder Fatah die Maschinerie der Korruption am Leben hält (Fatah ist die Partei des ehemaligen Arafats und des jetzigen Präsis Machmut Abbas. Sie ist aus der PLO entstanden und hält den "alten" Kurs, versucht unter Abbas nun auch zwischen Israel und palästinensischer Autonomiebehörde zu vermitteln, erkennt Israel zum großen Teil an und hat nun auf Condoleeza Rices Bitte, sich nach dem Angriff Israels auf den Gazastreifen wieder mit Amis und Israelis an den Verhandlungstisch zu setzten, hingesetzt. Die Hamas ist radikaler und kämpft stärker gegen die Besetzungssituation, hat teilweise auch intensive Sozialprogramme, wodurch sie in der Bevölkerung sehr beliebt ist. Sie erkennt Israel nicht an, weil Israel auch Palästina nicht anerkennt. Militante Arme haben alle Parteien. Doch da die internationale Gemeinschaft der Hamas den Geldhahn abgedreht hat konnte sie die gewonnene Wahl nicht auskosten, die Gehälter wurden nicht gezahlt und in der Westbank ist sie schliesslich abgesoffen - in Nablus wurde der Bürgermeister von der Israelischen Armee festgenommen. Es bleibt schwer für mich zu differenzieren, zu verstehen, wie die Politik hier funktioniert.)

Ja, in Jenin also leben die Menschen im Camp oder nicht. Mensch ist von reicherer oder ärmerer Familie. Liberalerer oder Traditionellerer. Zwischen Mann und Frau. Zwischen original-palästinensisch freiwillig hergezogen oder flüchtlichs-palästinensisch. Das heißt gleich - "ICH hab alle Intifadas miterlebt, ICH hab für unser Land gekämpft, doch DU bist erst hergezogen, als es friedlicher wurde, nach dem Oslo Prozess."
Und im Camp gaben wir dann die zweite Show, da, wo unsere Freunde, von eher wohlhabenden Familien aus Jenin-Stadt den Kindern, die hergeflohen sind Workshops geben. Das Theater scheint sehr gut organisiert zu sein, hat ne sehr gute Fundraising und PR Abteilung! - sie können sich 20 Angestellte leisten und u.a. Noam Chomsky und Judith Butler sind im Vorstand. Sie haben regelmäßige Shows und Training und ne Menge Freiwillige. Sie haben sich also in kurzer Zeit zu einer Prestigevollen Institution entwickelt.

Doch die interessanten Eindrücke sind die kleinen Beobachtungen im Alltag. Als ich Fotos entwickeln ging, lagen im Labor all die Fotos rum, die sonst für Kunden entwickelt werden sollten. Es waren ausschliesslich Fotos von frischgeborenen Kindern, Hochzeiten und Post-pubertären Jungs mit Maschinengewehren. Die wichtigsten Momente im Leben der Jeniner_innen?!

Alle, die in Kämpfergruppen eintreten bekommen zuerst ein Kanönchen in die Hand gedrückt und machen Fotos, für den Fall, dass die Israelische Armee sie umbringen sollte. Denn dann wird die ganze Stadt mit deren Köpfen (und Maschinengewehren) zugepflastert. Das prägt das Stadtbild, Gewalt als Widerstand ist hier hoch angesehen. Waffen und Bomben sind durch die lange Besatzungssituation tief in den Köpfen der Menschen verankert, oft dienen die Bilder von Bomben und Raketen als Metaphern für ganz gewöhnliche Gefühle.

Läuft mensch in der Stadt umher fallen einem nicht nur die Jungs mit den Stirnbändern und Knarren auf, die an jedem Supermarkt kleben wie bei uns die halbnackten Frauen, die Joghurtwerbung machen.
Es fällt in Jenin auch auf, dass es kaum Mülleimer gibt. Warum? Nunja, sie sind schwer zu finanzieren. Der Wind treibt alles, was grundsätzlich auf die Straße geworfen wird, weg. Und die großen Müllcontainer, die gelegentlich umherstehen, brennen aus... als einzige Lösung, die den Ämtern dort zur Müllentsorgung offen bleibt.

Wir spielten also unsere zwei Shows in Theater mit den Kids vom Street Circus, was echt super Spaß machte. Plötzlich sickerte die Nachricht durch, dass das osmanische Reich zusammenbrechen sollte, und die internationale Gemeinschaft den Briten ein Mandat über die Region geben wollte. Als die Osmanen uns dann verjagten wurde es uns etwas brenzlig und wir packen unsere sieben Sachen und flohen nach Nablus...


Die Osmanen streifen durch die Stadt...


und wir begeben uns auf den beschwerlichen Weg nach Nablus

Hier angekommen läuft erstmal das übliche Programm: Wir werden von unseren Freunden warm empfangen und genießen Tee, Falafel und Knafe - die Fett-Zucker Spezialität aus Nablus (mit Grundlagen Käse, Zucker und Grieß), wofür angeblich Menschen von weit weit her reisen.

Nablus Altstadt

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Nablus hat sich anscheinend verändert. Es ist scheinbar viel sicherer geworden, seitdem die Fatah wieder die Macht übernommen hat - es gibt ne Menge Kontrollen in den Straßen, wir konnten uns sogar bis zehn Uhr Abends heut in der Altstadt aufhalten. Das wäre letztes Jahr undenkbar gewesen, da die "Freiheitskämpfer_innen" dann ins Gefecht mit der israelischen Armee hätten kommen können.
Doch mensch spürt es auch in der Luft. Es ist lebendig geworden in der Stadt, irgendwie bunter. Ich kann es nicht genau beschreiben. Alle sagen klar: es hat sich viel verbessert.

Nur eine Bevölkerungsgruppe leidet hier sehr: Die buddhistischen Schaufensterpuppen machen weiterhin kollektiven Selbstmord um auf ihre Situation der Unterdrückung aufmerksam zu machen:



Wir wissen selber nicht genau, wie damit umzugehen.

Mir fiel anfangs auf, dass ich dieses Mal kaum Horrorgeschichten erzählt bekam, von Folter und Unterdrückung durch die Israelis, von Gefangenschaft und Schickane. Doch jetzt, mit der Zeit, sammeln sich doch die Geschichten an. Angefangen im Jenin Camp, wo vom Jenin Battle (Wikipedia) erzählt wurde, als 2002 intensive Militäroperationen Israels in der gesamten Westbank, u.a. im Camp Jenins stattfanden. Ein Monat lang Hausarrest für alle, massig tote Zivilist_innen, die Menschenrechtslage war verheerend, wie Human Rights Watch berichtet (HRW Report 2002). Fast alle Häuser wurden durchsucht und um zu markieren, dass dieses oder jenes Haus schon durchsucht wurde, wurde ein Davidstern an die Wand gesprüht. Und und und.
Jede und jeder, mit dem ich über sowas sprach hat irgendwelche Brüder oder Cousins, die in Israelischen Gefängnissen sitzen. 8, 15, 25 Monate. Grenzen sind in den Köpfen gemacht und werden dann so schnell, so schrecklich lebendig.

Diese Geschichten begegnen uns hier öfters, doch unser Alltag ist ein ganz anderer. weiterhin extreme Gastfreundschaft, viel gutes Essen, wir feiern gemeinsame Shows und erzählen uns Tratschgeschichten.

Nun, und die Show heute war echt mal gut. Und das beste ist: wir haben sie vollständig auf Video! Endlich können wir also auch mal sehen, wie wir spielen.

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und alle drei Lachen sie fröhlich für die Kamera.

Morgen und übermorgen dann noch zweimal Workshop geben und dann ab weitergezischt etwas südlicher. Mehr dann dann.

Bis bald,

der langatmig-beschreibende Jean

Schau! ne Show!

Licht an! aus. an. aus. an. aus.

Wir spielen heut noch zwei shows, nachdem wir gestern den ganzen Tag gemeinsam trainiert haben. Es ist intensiv, doch wir finden auch immer wieder Momente unsere vielen Eindrücke zu sortieren... wenn sie auch selten sind.
Morgen fahren wir dann weiter nach Nablus und treffen unsere Freunde vom Assirk Assaghir.

Hier ein Paar Bilder der Wahnsinnsshow in nem Park am Rande Jenins:

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Bis Bald,

Jean

Ein neuer Tag in Jenin.

Ein neuer Tag in Jenin.

Mittlerweile geht der fünfte gemeinsam in Jenin verbrachte Tag seinem Ende zu. Ich sitze in einem Zimmer mit Jean in unserer neu, auf Zeit gegründeten WG, mit Achmed.
Die Tage in Jenin sind spannend und voll mit neuen Dingen die es zu erleben gibt. Vom bunten Markt die Straße runter bis hin zu Einladungen für den Abend bei netten Menschen, Zirkusworkshops dazwischen und ab dem morgigen Datum auch Auftritte... Kurz gesagt, die neuen Eindrücke wollen einfach nicht ausgehen. Fast immer sprudeln sie auf uns ein. Vor allem Abends wenn wir meist unterwegs sind, wie gesagt eingeladen werden oder überraschend in unserer „Männer-WG“ die besten Freunde von Achmed auftauchen, wie der „Laden um die Ecke Besitzer“, der Bruder und andere lustige Gestalten. So verbringen wir wirklich schöne Tage und Abende in Jenin. Tagsüber, geben wir in der Schule Workshops an die Älteren vom Street Circus hier in Jenin und diese unterrichten dann am nächsten Tag in zwei Trainingseinheiten die Jüngeren zw. 6- 12 Jahre. Nachmittags trainieren wir zusammen und besprechen die Trainings. Ich bin total beeindruckt wie wissbegierig die Jugendlichen vom Street Circus sind und freu mich, da ich in Sachen Workshop geben auch wieder viel dazulernen kann. Die Jugendlichen stecken total viel Energie in dieses Projekt, meistens trainieren sie die Kids alleine und auch die Organisation wird zu einem großen Teil von der 15 Jährigen Zina übernommen.
Am Mittwoch werden wir mit den Kids in der Schule auftreten und am Freitag mit den Jugendlichen im Freedom Theater. Bis dahin ist noch viel zu tun, da wir nur einen Tag haben um unsere Show mit den Jugendlichen vom Street Circus zu verbinden und dann ist auch schon gleich die Aufführung. Das bedeutet also nicht nur Alltags eindrücke zu verarbeiten sondern speziell für den Ramon auch Shows spielen, zusammensetzen, auseinanderpflücken, neu gestalten, um gestalten und und und was ja auch erstmal nicht zu meinem persönlich bekannten Alltag gehört.
Dem Freedom Theater haben wir gestern einen Besuch abgestattet. Es wird von Jonathan verwaltet, einen Schweden der seid zwei Jahren in Jenin lebt. Das Freedom Theater scheint mir sehr strukturiert und beliebt bei der Jeniner Bevölkerung. So spielen wir am Freitag gleich zwei Shows.
in denen wohl jeder Zuschauerplatz besetzt sein wird.

Dann gibt es da noch die andere Seite, die leider auch traurige Realität ist... immer die gleichen Geschichten, die es sich nach und nach in meinen Gedanken gemütlich machen. Übergriffe der Israelischen Armee auf schuldige, mutmaßliche (was auch immer diese beiden Begriffe bedeuten) und andere Terroristen (was auch immer das bedeuten soll), unschuldige aber halt in Kauf genommene Zivile Opfer (Siehe Deutsche Zeitungen und Reaktionen auf Israels Politik, darf man es noch Politik nennen? im Gazastreifen)... Israel kommt, wie soll ich es ausdrücken, generell nicht gut weg hier und da sich das jeder denken kann, brauch ich es auch nicht weiter zu erwähnen. Politische Stellung zu beziehen ist für mich gerade unmöglich, vor allem da ich beide Seiten kennen gelernt habe und so hör ich mir alles an und verweile in Gedankenwälzerei... Ja so ist es hier in Jenin... Gut dass es da noch Zwei gibt, mit denen ich mich austauschen kann...
Ramon

Familienleben

Freitag Abend in Jenin. Das Wochenende ist vorbei, am Samstag beginnt die Schule.
Ich bin zu Hause bei Zina, die auf dem Boden sitzt und fuer ihre Mathe-Klausur am naechsten Tag lernt. Ihre Schwester Azza sitzt am Internet, der kleine Bruder Rashed schlaeft schon im gleichen Zimmer.
Gerade hat uns der Vater von der Schule abgeholt, in der wir seit dem Morgen trainiert haben.
Die Eltern waren uebers Wochenende in Ramallah, auf der Rueckfahrt nach Jenin sind sie gerast, aus Angst vor Siedlern, die mit Steinen auf palaestinensische Autos werfen koennten. Die Reaktion auf den Anschlag, der sich am Freitag in Jerusalem ereignet hat.

Das ist nur ein kurzer Eindruck von so vielen. Ich bin ziemlich ueberladen, wovon zuerst erzaehlen?
In der Familie von Zina fuehle ich mich sehr wohl und bin froh, das Leben hautnah erleben zu koennen. Das Zirkustraining mit Street Circus lief supergut, die Jugendlichen sind aussergewoehnlich verantwortungsvoll, konzentriert und motiviert. Sie wollen mehr in den verschiedenen Zirkusdisziplinen und ueber Zirkuspaedagogik im Allgemeinen lernen, damit sie die Juengeren anleiten koennen. Wesam macht sich Gedanken, wie es mit Street Circus weitergehen wird, wenn in den naechsten Jahren die Aelteren vielleicht aufhoeren oder weniger Zeit haben werden, weil sie in der letzten Klasse vor ihrem Schulabschluss sein werden, danach vielleicht studieren.
Von Aussen dringen Nachrichten an uns, aber so richtig Zeit finde ich dafuer doch nicht im ganzen Geschehen.
Wir telefonieren oder schreiben mit Freunden in Nablus, Maghar, Jerusalem, Kfar Yehoshua, Deutschland.
Ich bekomme suessen Kamillentee gegen meine Halsschmerzen.
Zinas Mutter ist zu Hause, weil heute Frauentag ist und sie nicht arbeiten muss.

Jetzt werd ich zur Wohnung von Jean und Ramon laufen. Ein wenig Zeit bleibt uns noch vor dem Training um 14 Uhr...
Anne

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Berliner Jugendgruppe vom Shake! zu Besuch in Nordisrael +++++++ 5.-17. April 2009 +++ Neuigkeiten hier...

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